Die Nacht der Verlorenen für Bariton und Ensemble (2008)

30′
Text: Ingeborg Bachmann
Auftragswerk des South Bank Centre und des Remix-Ensembles, Porto
UA: 30.09.2008, London (UK) | Matthias Goerne (Bariton), Martin Brabbins (Dirigent), London Sinfonietta


Besetzung
1 (auch Picc. und Afl.)/1/2(2. auch Basskl.)/1 (auch Kfg.) – 2/1/1/0 – S.(2 Spieler) – Akk. – Str. (1/1/1/1/1)

1. Alles verloren
2. Für Ingmar Bergman, der von der Wand weiß
3. Im Lot
4. Memorial
5. Die Nacht der Verlorenen
6. So stürben wir um getrennt zu sein


Programmnotiz
Das dichterische Werk Ingeborg Bachmanns begleitet mich seit langer Zeit. Über die Kurzgeschichten fand ich zur Lyrik und hier wiederum speziell zu späten, nachgelassenen Fragmente, die wohl nicht für eine Veröffentlichung bestimmt waren.
Im Jahr 2000 wurden diese im Band „Ich weiß keine bessere Welt, Unveröffentlichte Gedichte“ im Piper Verlag publiziert.

Nirgendwo zeigt sich der „kunstlose Weg“, von dem die Dichterin selber gesprochen hat, deutlicher als in diesen Fragmenten, Fetzen, Ausbrüchen. Allerdings zeigte die mediale Debatte, welche der Veröffentlichung folgte, dass die Publikation dieser zu einem guten Teil sehr persönlichen und intimen Texte einen Grenzfall darstellte. Die Trennung von „dichterischem Ich“ und der eigenen Person ist hier kaum mehr gegeben, die sonst vor allem in der Lyrik Bachmanns stets präsente Transzendierung zu einem formal und sprachlich ausgefeilten Resultat hin wurde hier selten vorgenommen, z. T. nicht einmal angestrebt.

Gerade diese Brüchigkeit aber, diese Rohheit, haben die Texte für eine Vertonung interessant gemacht. Die Arbeit der Transzendierung mit den Mitteln der Komposition zu leisten, war die Herausforderung, das Fragmentarische war die Möglichkeit, musikalisch anzudocken.

Hier traf ich eben auf keine polierten Oberflächen, sondern auf raue Steine, an denen ich mich festhalten und -krallen konnte.

Es war meine Intention, die Gesangsstimme als expressive, aber vor allem erzählende Stimme zu verwenden, gewissermaßen als Kontinuum, das sich als eine immer wieder erkennbare Ebene durch das ganze Stück zieht. Auch die Textverständlichkeit spielte eine große Rolle im Entwurf dieses Parts. Dazu tritt ein sehr aktives Ensemble, das die textlichen Ereignisse, die von der Stimme aufgeworfen werden, noch einmal vergrößert, gewissermaßen heranzoomt, körperlich verstärkt und spürbar werden lässt. Das vor allem am Anfang sehr dominante Ensemble gibt im Lauf der Zeit der Solostimme mehr und mehr Raum. Das Werk endet in großer Zurückgezogenheit.

Wie bei all meinen Stücken liegt ein tonaler Spannungsbogen unter dem Werk. Doch auch die Ausformung an den kleinen Strukturen der Oberfläche ist geprägt durch tonale Bezüge und auch durch „Dreiklangsfeldversuche“. Die Dreiklänge erscheinen in reiner Form, in Sequenzen, in Schichtungen etc., sie geben Anhaltspunkte und stellen in Kompilationssituationen schillernde Oberflächen dar.

Thomas Larcher